Glücklich zuhause – wie der Alltag spannend bleibt

Wie wir den Alltag neu entdecken
Bummeln durch die engen Gassen einer italienischen Kleinstadt, ein frisches Bad in den kühlen Wellen des Atlantiks oder der Geruch der Gewürze auf einem orientalischen Markt – all das macht eine Urlaubsreise aus. Aber was ist es genau, was uns auf einer Reise entspannt und wie gelingt es, auch zuhause auf eine kleine Entdeckungsreise zu gehen? Wir geben Ihnen Tipps für mehr Achtsamkeit im Alltag.
Schon im Landeanflug auf ein Reiseziel sehen wir die Welt von oben aus einer ganz anderen Perspektive. Und oft gelingt uns auch am Urlaubsort ein achtsamer Umgang mit uns selbst und den Dingen um uns herum. Wir riechen das Meer, hören Möwen, genießen den kühlen Wind oder die Wärme auf der Haut. Zu Hause dagegen fällt es vielen Menschen schwer, sich bewusst mit allen Sinnen auf das Schöne zu konzentrieren und das eigene Umfeld mit den vielen wertvollen Kleinigkeiten achtsam wahrzunehmen und zu schätzen.
Im Urlaub mögen wir Komplexität
Dass es daheim schwieriger ist, die Welt in all ihren Facetten aufzusaugen, hat damit zu tun, dass wir jeden Tag immer kompliziertere und vielfältigere Aufgaben bewältigen müssen. "In unserem Alltag bemühen wir uns daher ständig, Komplexität zu reduzieren", erklärt Helen Heinemann, Expertin für Stress- und Burnout-Prävention in Hamburg. Das sei eine gesunde Reaktion des Gehirns, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können, erklärt sie. Allerdings habe diese Schutzfunktion einen Haken: "Durch den Tunnelblick können wir viele spannende und schöne Dinge um uns herum nicht wahrnehmen."
Auf Reisen hingegen hat das Gehirn freie Kapazitäten. So wird der Blick wieder weit. Wir sehen schöne Gebäude, Bäume, beobachten Menschen oder Szenen auf einer Straße. Wir riechen die Luft, hören fremde Geräusche und nehmen eine Szene auf einem belebten Marktplatz sofort mit allen Sinnen intensiv wahr. „Die Wahrscheinlichkeit, dass wir dabei etwas Schönes erleben und uns dabei über etwas freuen ist groß. Und sobald wir uns freuen, entspannen wir uns“, erklärt Heinemann.
Achtsamkeitsübungen für den Anfang: So tun als ob
Genau das können wir auch zu Hause schaffen und zum beobachtenden Reisenden werden. Der Trick dabei ist Spielen! "Man muss sich einfach nur vorstellen, man sei in einer fremden Stadt. Man spielt sozusagen Urlaub", sagt die Stress-Expertin lachend, sie hat es ausprobiert. "Ich selbst mache das manchmal und laufe zum Beispiel am Hamburger Rathaus vorbei, das ich schon tausendmal gesehen habe und entdecke plötzlich dort und darum herum Dinge, die ich noch nie wahrgenommen habe." Allein die Vorstellung, man sei auf Reisen, öffnet die Sinne und ändert die Perspektive. Für kurze Zeit hat das Gehirn Freiräume so viel wahrzunehmen, wie auf Reisen.

Wie wäre es mit einem Entdeckungsspaziergang durch die eigene Straße? Mit offenen Augen und Ohren gibt es selbst hier bestimmt viel Neues zu erleben. Wie würden Sie Ihren Freunden zu Hause diese Straße und die Urlaubseindrücke beschreiben? Oder würden Sie lieber Urlaubsfotos anschauen? Auch das funktioniert.

Bewusst durch den Alltag: Knipsen Sie schöne Fotos mit dem inneren Auge
Aufmerksam und achtsam durch den Alltag zu gehen klappt besonders gut, wenn man versucht, sich eine Straße, die eigene Wohnung oder eine Szene in der Kantine ganz bewusst als Bild festzuhalten. "Auf Reisen machen wir ja auch viele Fotos", sagt Heinemann und gibt den Tipp, im Alltag zwischendurch innere Bilder zu machen. "Knipsen Sie eine Szene in der Bahn oder auf dem Heimweg", rät sie. Durch dieses Spiel lenkt man die Aufmerksamkeit auf spannende und neue Dinge.
Wie Fotos von einer Urlaubsreise kann man sich übrigens auch mal Gegenstände in seiner Wohnung anschauen und genau wie beim Anblick der Urlaubsbilder in Erinnerung schwelgen. Wer mag, kann bei der Gelegenheit auch gleich Ordnung machen und entrümpeln. Denn das Sortieren von Dingen, die man behalten oder ausmisten möchte, befreit und ist Wertschätzung zugleich.
Sich langweilen, um Spaß zu haben
Im Urlaub suchen wir zudem nach Beschäftigung, um ja keine Langeweile aufkommen zu lassen und so entstehen die tollsten Abenteuer. Wie wäre es, sich auch das Prinzip einmal zuhause zunutze zu machen? Wenn man bewusst Langeweile aufkommen lässt oder einfach mal so tut als ob einem langweilig sei, kommen mit großer Wahrscheinlichkeit neue Ideen für aufregende Unternehmungen. Bei denen sind wir automatisch achtsamer, weil wir der Monotonie entfliehen.
Sich selbst mehr Aufmerksamkeit schenken
Klingt für Sie reizvoll, aber Sie fürchten, einfach keine Zeit für solche Achtsamkeitsübungen zu haben? Auch hier hat die Expertin einen Tipp: "Menschen, die wenig Zeit haben, möchten meist all ihre Aufgaben gewissenhaft und gut erledigen und das kostet Zeit", erklärt sie und fügt an, dass es nichts bringe, sich vorzunehmen, die Aufgaben mal nicht so hundertprozentig zu erledigen. Ihre Empfehlung: "Man muss sich selbst als Aufgabe sehen, der man die gleiche Bedeutung und Aufmerksamkeit beimisst, wie anderen To-dos." Dann klappt es auch mit den Freiräumen für die kleinen Reisen im Alltag. Ein erster Schritt könnte eine fünfminütige Auszeit nach dem Heimkommen sein, in der man bewusst nicht sofort zu Hause weiter arbeitet, sondern sich einen Moment Ruhe gönnt. Sei es beim Toben mit dem Hund, dem Gießen der Tomatenpflanzen auf dem Balkon oder ein Gespräch mit dem Partner. Die achtsame Reise durch ihren Alltag beginnt mit kleinen Schritten.
Einfach mal was anderes machen
Also – gehen Sie doch jeden Tag ein bisschen auf Entdeckungsreise! Spaß macht es besonders mit einer Verabredung und kleinen Unternehmungen zu zweit. Vielleicht steigen Sie auf dem Heimweg einmal eine Station früher aus und laufen einen anderen Heimweg. Oder Sie kochen sich ein Gericht mit fremden Zutaten und zelebrieren und genießen das Essen am Abend ganz bewusst. Statt im Atlantik, erfrischen Sie sich mit einer Dusche und spüren, wie sich das auf der Haut anfühlt. Denn mit dem Schärfen der Sinne wird selbst das eigene Zuhause zum spannenden Ziel einer Entdeckungsreise!